Blockchains existieren nicht in einer einheitlichen Form, sondern in
vielfältigen Varianten, die für unterschiedliche Anwendungsfälle und
Anforderungen optimiert sind. Die Wahl der passenden Blockchain-Art ist
entscheidend für den Erfolg eines Projekts und hängt von Faktoren wie
Skalierbarkeit, Vertraulichkeit, Kontrolle und Regulierung ab. Dieses
Kapitel behandelt die verschiedenen Blockchain-Typen, ihre
Eigenschaften, Anwendungsbereiche und die Schlüsselunterschiede zwischen
ihnen.
10.1 Klassifizierung von
Blockchains
Blockchains lassen sich nach verschiedenen Kriterien klassifizieren,
wobei zwei Dimensionen besonders wichtig sind:
Zugangssteuerung: Wer darf am Netzwerk teilnehmen?
(öffentlich vs. privat)
Berechtigungen: Welche Rechte haben die Teilnehmer?
(permissionless vs. permissioned)
Diese Dimensionen können in verschiedenen Kombinationen auftreten und
führen zu unterschiedlichen Blockchain-Typen mit jeweils eigenen
Eigenschaften und Anwendungsfällen.
Öffentliche Blockchains sind vollständig dezentralisierte Netzwerke,
die für jedermann zugänglich sind – sowohl als Nutzer als auch als
Teilnehmer an der Netzwerkinfrastruktur.
Kernmerkmale öffentlicher Blockchains:
Offene Teilnahme: Jeder kann dem Netzwerk
beitreten, Transaktionen durchführen und (je nach Konsensmechanismus) an
der Validierung teilnehmen
Transparenz: Alle Transaktionen sind öffentlich
einsehbar
Zensurresistenz: Keine einzelne Entität kann
Transaktionen blockieren oder das Netzwerk abschalten
Hohe Dezentralisierung: Das Netzwerk wird von
zahlreichen unabhängigen Teilnehmern betrieben
Trustless: Vertrauen wird durch kryptografische
Verfahren und wirtschaftliche Anreize ersetzt
Beispiele öffentlicher Blockchains:
Bitcoin: Die erste und bekannteste Blockchain für
Kryptowährungen
Ethereum: Eine programmierbare Blockchain für Smart Contracts und
dezentrale Anwendungen
Solana: Eine Hochleistungs-Blockchain mit schnellen
Transaktionszeiten
Polkadot: Ein Multi-Chain-Netzwerk, das verschiedene Blockchains
verbindet
Typische Anwendungsfälle:
Kryptowährungen als alternatives Zahlungsmittel
Dezentrale Finanzanwendungen (DeFi)
NFTs und digitale Eigentumsrechte
Dezentrale autonome Organisationen (DAOs)
Anwendungen, die Zensurresistenz erfordern
Herausforderungen öffentlicher Blockchains:
Skalierbarkeit und Transaktionskosten
Energieverbrauch bei Proof-of-Work-Systemen
Governance und Entscheidungsfindung
Regulatorische Unsicherheiten
10.2.2 Private Blockchains (Private
Blockchains)
Private Blockchains sind geschlossene Netzwerke, in denen die
Teilnahme beschränkt und kontrolliert wird, typischerweise von einer
Organisation oder einem Konsortium von Organisationen.
Kernmerkmale privater Blockchains:
Zugangskontrolle: Teilnahme nur mit
Genehmigung
Höhere Vertraulichkeit: Transaktionsdaten sind
nicht öffentlich zugänglich
Gesteigerte Leistung: Höherer Durchsatz und
schnellere Transaktionsbestätigungen
Anpassbare Governance: Klare
Entscheidungsstrukturen und Verantwortlichkeiten
Hyperledger Fabric: Modulare Blockchain für
Unternehmensanwendungen
Quorum: Eine Ethereum-Abspaltung für Unternehmen mit Fokus auf
Datenschutz
Corda: Speziell für Finanzinstitutionen entwickelte
DLT-Plattform
Typische Anwendungsfälle:
Unternehmensinterne Prozessoptimierung
Supply-Chain-Management innerhalb eines Unternehmens
Datenaustausch zwischen Abteilungen
Compliance und Audit-Trails
Tests und Entwicklung neuer Blockchain-Anwendungen
Herausforderungen privater Blockchains:
Geringere Dezentralisierung und potentiell höheres
Manipulationsrisiko
Eingeschränkte Transparenz und Verifizierbarkeit
Mögliche “Vendor Lock-in”-Situationen
Fragliche Vorteile gegenüber traditionellen Datenbanken
10.3 Permissionless
vs. Permissioned Blockchains
Die Unterscheidung zwischen permissionless und permissioned
Blockchains bezieht sich auf die Berechtigungen, die Teilnehmer
innerhalb des Netzwerks haben – insbesondere auf die Frage, wer
Transaktionen validieren und neue Blöcke hinzufügen darf.
10.3.1 Permissionless
Blockchains
In permissionless (genehmigungsfreien) Blockchains kann jeder
Teilnehmer ohne vorherige Genehmigung am Konsensprozess teilnehmen und
Transaktionen validieren.
Kernmerkmale von permissionless Blockchains:
Offene Validierung: Jeder kann als Validator/Miner
teilnehmen
Wirtschaftliche Anreize: Validatoren werden durch
Token-Belohnungen motiviert
Kryptografische Sicherheit: Schutz vor
Sybil-Angriffen durch Proof of Work, Proof of Stake etc.
Hohe Dezentralisierung: Breite Verteilung der
Validierungsmacht
Reduzierte Zutrittsbarrieren: Keine
Identitätsüberprüfung erforderlich
Typische permissionless Blockchains:
Bitcoin und die meisten Kryptowährungen
Ethereum (Mainnet)
Litecoin, Dogecoin
Die meisten public DeFi-Plattformen
10.3.2 Permissioned
Blockchains
In permissioned (genehmigungspflichtigen) Blockchains ist die
Teilnahme am Konsensprozess auf vorab genehmigte Validatoren beschränkt,
deren Identität in der Regel bekannt ist.
Kernmerkmale von permissioned Blockchains:
Selektive Validierung: Nur ausgewählte und
identifizierte Teilnehmer validieren Transaktionen
Identitätsbasierte Sicherheit: Validatoren werden
über ihre Identität anstatt wirtschaftliche Anreize verantwortlich
gemacht
Höhere Kontrolle: Klarere Governance-Strukturen und
Verantwortlichkeiten
Leistungsfähigere Konsensverfahren: PBFT, Raft, PoA
oder andere für bekannte Teilnehmer optimierte Verfahren
Skalierbarkeit: Höherer Transaktionsdurchsatz und
niedrigere Latenz
Typische permissioned Blockchains:
Hyperledger Fabric
Corda
Quorum
Binance Smart Chain (teilweise permissioned)
Anwendungsfälle für permissioned Blockchains:
Interbankenabwicklung
Regulierte Finanzmärkte
Gesundheitswesen und Patientendaten
Kritische Infrastruktur
Unternehmensinterne Anwendungen mit verifizierbarer
Nachvollziehbarkeit
10.4 Kombinationen und
Spezialisierungen
Die genannten Kategorien schließen sich nicht gegenseitig aus,
sondern können in verschiedenen Kombinationen auftreten:
10.4.1 Öffentliche permissionless
Blockchains
Die ursprüngliche und “reinste” Form der Blockchain-Technologie:
Vollständig offen und dezentralisiert
Maximale Zensurresistenz
Beispiele: Bitcoin, Ethereum
10.4.2 Öffentliche permissioned
Blockchains
Blockchains, die öffentlich einsehbar sind, aber kontrollierte
Validierung haben:
Transaktionen sind öffentlich, aber nur ausgewählte Validatoren
Höhere Skalierbarkeit als permissionless bei moderater
Dezentralisierung
Beispiele: EOS (mit gewählten Block-Produzenten), Ripple (mit
vertrauenswürdigen Validatoren)
10.4.3 Private permissioned
Blockchains
Die am stärksten kontrollierte Form von Blockchains:
Beschränkter Zugang und beschränkte Validierungsrechte
Maximale Kontrolle und Anpassbarkeit
Beispiele: Die meisten Enterprise-Blockchain-Lösungen
10.4.4 Private permissionless
Blockchains
Seltenere Konfiguration mit begrenztem Zugang, aber offenem
Validierungsprozess:
Teilnahme ist beschränkt, aber innerhalb des Systems können alle
validieren
Kann für testbeds oder spezielle Anwendungsfälle genutzt werden
Beispiele: Testnetze für öffentliche Blockchains, einige spezielle
implementierungen
10.5 Consortium Blockchains
Consortium Blockchains stellen einen Mittelweg zwischen vollständig
öffentlichen und rein privaten Blockchains dar. Sie werden gemeinsam von
einer Gruppe von Organisationen betrieben, die kollektiv den
Konsensprozess kontrollieren.
Kernmerkmale von Consortium Blockchains:
Gemeinsame Governance: Mehrere Organisationen
teilen sich die Kontrolle über das Netzwerk
Supply Chain Management über Unternehmensgrenzen hinweg
Gemeinsame Datenräume mit Wettbewerbern
Regulierte Märkte mit mehreren Teilnehmern
Internationale Handelsnetzwerke
Vorteile von Consortium Blockchains:
Geringere Kosten durch geteilte Infrastruktur
Höhere Effizienz als öffentliche Blockchains
Größeres Vertrauen als bei einzeln kontrollierten privaten
Blockchains
Bessere Skalierbarkeit der Governance
Datenschutz bei gleichzeitiger Transparenz für berechtigte
Teilnehmer
Herausforderungen:
Komplexe Governance-Strukturen
Potenzielle Interessenkonflikte zwischen Mitgliedern
Onboarding und Offboarding von Teilnehmern
Technische Interoperabilität zwischen verschiedenen Systemen
10.6 Enterprise
Blockchain-Lösungen
Enterprise Blockchain-Lösungen sind speziell für die Anforderungen
von Unternehmen konzipierte Plattformen, die typischerweise als private
oder Consortium Blockchains implementiert werden.
10.6.1 Schlüsselanforderungen für
Unternehmensanwendungen
Für den Einsatz in Unternehmen müssen Blockchain-Lösungen spezifische
Anforderungen erfüllen:
Hohe Transaktionsrate: Unternehmensanwendungen
benötigen oft tausende Transaktionen pro Sekunde
Niedrige Latenz: Schnelle Bestätigungszeiten für
zeitkritische Geschäftsprozesse
Die verschiedenen Arten von Blockchains bieten unterschiedliche
Kompromisse zwischen Dezentralisierung, Skalierbarkeit, Vertraulichkeit
und Kontrolle. Öffentliche permissionless Blockchains maximieren
Dezentralisierung und Zensurresistenz, während private und Consortium
Blockchains höhere Leistung, Vertraulichkeit und regulatorische
Konformität bieten.
Die Wahl der richtigen Blockchain-Art hängt maßgeblich vom
spezifischen Anwendungsfall, den beteiligten Parteien und den
regulatorischen Rahmenbedingungen ab. In vielen Fällen ist es sinnvoll,
verschiedene Blockchain-Typen zu kombinieren oder hybride Ansätze zu
verfolgen, um die Vorteile der verschiedenen Architekturen zu
nutzen.
Mit der zunehmenden Reife der Technologie entwickeln sich die Grenzen
zwischen den verschiedenen Blockchain-Arten weiter, und neue Modelle
entstehen, die die Stärken unterschiedlicher Ansätze verbinden.
Unternehmen und Entwickler sollten die Landschaft der Blockchain-Typen
kontinuierlich beobachten und ihre Strategien entsprechend anpassen.